Literarische Monokultur: Warum wir wieder Genrevielfalt brauchen!
- Leah Hasjak
- vor 2 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Es gibt Menschen, die retten alte Tomaten. Oder Bohnen. Oder knorrige Birnbäume mit vergessenen Namen. Sie sammeln Saatgut, graben vergilbte Gartenhandbücher aus und kultivieren Sorten, die aus den Supermarktregalen längst verschwunden sind. Nicht aus nostalgischem Eigensinn, sondern weil sie wissen: Wenn alles gleich schmeckt, ist irgendwann nichts mehr besonders. Vielfalt bedeutet Widerstandskraft – und Geschmack.
Doch nicht nur im Gemüsebeet verkümmern alte Sorten. Auch in der Literatur – und noch mehr im populären Erzählen – verschwinden bestimmte Genres fast vollständig aus dem Blick. Der klassische Whodunit, der nicht im Thriller-Gewand mit Serienkiller und Gänsehaut daherkommt. Der Western, der einst mehr war als staubige Männlichkeit und fliegende Colts. Der Piratenroman, der mit Moral, Ehre, Verrat und Seemannsgarn spielte. Und nicht zuletzt der klassische Abenteuerroman – samt seiner cineastischen Spielarten wie Auf der Jagd nach dem grünen Diamanten, Indiana Jones oder den frühen Zorro-Filmen.
All diese Formen erzählten einst von Neugier, Wagnis, Gewissen, Leidenschaft und Weltentdeckung. Heute finden sich ihre Reste nur noch als Kulisse: ein bisschen Dschungel hier, ein bisschen Schatzkarte da – aber darunter liegt oft dieselbe Geschichte, immer neu lackiert. Junge Frau, übermenschliche Gabe, mehrere Männer, alles zwischen 17 und 19 Jahren alt. Ein neues Gewand, dieselbe Dramaturgie.
Das ist schade.
Denn so wie der Geschmack einer alten Apfelsorte uns daran erinnert, wie vielfältig Obst einmal war, erinnern uns vergessene Genres daran, wie reich unsere Erzählkultur sein kann – wenn man sie lässt.
Natürlich hat sich der Literaturmarkt verändert. Und ja – diese Veränderung hatte ihre Berechtigung. Endlich wurde die lange übersehene, oft belächelte Zielgruppe der Leserinnen ernst genommen. Besonders junge Frauen, Leserinnen in ihren Zwanzigern, treiben heute den Buchmarkt an – im Selfpublishing, auf BookTok, in den Bestsellerlisten. Sie kaufen, rezensieren, empfehlen weiter. Und sie bekommen, was sie sich wünschen: Geschichten mit romantischen Spannungsbögen, weiblichen Heldinnen, Identifikationsfiguren, Love Interests in Serie. Das ist erst einmal nichts Schlechtes.
Aber mit der Verschiebung des Fokus kam auch etwas anderes: eine Vereinheitlichung. Jedes Genre, ob Fantasy, Sci-Fi, Krimi oder Historisch, wurde – mit wenigen Abweichungen – nach demselben Muster erzählt. Eine junge Frau im Zentrum. Zwei Männer zur Auswahl. Ein innerer Konflikt, eine äußere Bedrohung. Ein bisschen Magie, ein bisschen Trauma, ein bisschen ironische Selbstbeschreibung. Das Alter der Heldin variiert zwischen 17 und 22. Und das Rad dreht sich weiter.
Weil die Tropes aber immer dieselben bleiben – Enemies to Lovers, Fake Dating, Found Family, Dark Secret, Forbidden Love –, braucht es ständig neue Kulissen, um die Erschöpfung zu kaschieren. Also ändert sich die Oberfläche: Heute sind es Elfen, morgen Meeresbiologen, übermorgen koreanische Serienkiller mit Daddy-Issues. Die Tiefe aber bleibt dieselbe. Vielfalt entsteht nur noch durch Dekor.
Was wie ein Boom an Kreativität aussieht, ist oft nur die insistiöse Selbstbefruchtung eines einzigen Erzählmusters. Ein Same, hundertmal neu gepflanzt, hundertmal anders benannt – aber immer dieselbe Frucht. Kein anderer Geschmack, keine andere Konsistenz. Und das macht etwas mit unserer Vorstellungskraft. Denn wir merken gar nicht, wie schmal der Pfad geworden ist, auf dem sich unsere Fantasie bewegt.
Literatur war einmal ein Ort, an dem unterschiedlichste Erzählformen koexistierten: die groteske Farce, die bittersüße Gesellschaftsstudie, das düstere Märchen, die philosophische Parabel, der zornige Abenteuerroman. Heute läuft alles durch denselben Filter. Und wenn man das lange genug betreibt, hält man die Gleichförmigkeit irgendwann für Natürlichkeit.
Aus genau diesem Grund habe ich beschlossen, ein solches Genre wieder zum Leben zu erwecken. Ich habe meine Leserinnen gefragt, was sie wirklich lesen wollen – nicht das, was der Markt ihnen vorgibt, sondern das, was sie vielleicht längst vermissen, ohne es zu wissen. Und ich war aufrichtig erfreut, dass sie dem Piratenroman eine Chance geben wollten.
Denn dieses Genre ist keine ausgediente Kulisse. Es ist ein Raum voller Möglichkeiten. Natürlich denken viele zuerst an Die Schatzinsel – an Karten, Kisten, Papageien. Aber der Piratenroman ist viel mehr. Er ist Abenteuer, ja. Aber auch ein Ort für Ambivalenz, für existentielle Fragen, für Freiheit, Verrat, Loyalität, Sehnsucht – und das ständige Aushandeln von Moral in gesetzlosen Zwischenräumen. Piratenfiguren waren nie makellos – und genau das macht sie literarisch so interessant. Sie sind Figuren, die nicht romantisiert werden müssen, weil sie schon immer zwischen den Polen von Gesetz und Anarchie, Zärtlichkeit und Brutalität, Treue und Selbstsucht lebten. Ihre Widersprüche sind real, spürbar, gefährlich – aber auch berührend.
Ganz im Gegensatz dazu steht ein aktueller Trend, der sich kaum noch als solcher tarnt: die Romantisierung des eindeutig Unmoralischen. Mafia-Bosse dürfen nur deshalb Hauptfiguren sein, weil man sie vorher emotional aufpoliert, mit Trauma tapeziert und in Designeranzüge steckt. Serienkiller mit traurigen Kindheiten. Vampire, die bloß missverstanden sind. Werwölfe, die in Wahrheit nur knuddeln wollen. Nichts darf mehr „böse“ sein – alles muss irgendwie erlöst, erklärt, verzeihlich sein.
Das Problem daran ist nicht, dass man Grauzonen auslotet – das ist gute Literatur. Das Problem ist, dass man Gewalt, Machtmissbrauch und Grausamkeit nicht mehr als das benennt, was sie sind. Stattdessen werden sie in Sexyness getaucht, mit einer Liebesgeschichte versiegelt und dann dem Markt als „dunkle Leidenschaft“ verkauft.
Aber wir brauchen keine moralischen Blankoschecks. Wir brauchen Figuren, die sich in echten Konflikten bewegen. Die kämpfen. Die scheitern. Die falsch liegen – und trotzdem lieben. Und dafür bietet der klassische Piratenroman einen idealen Boden. Er war immer schon schmutzig, wild, zweideutig – und zugleich voller Romantik, Pathos, Freiheit und Fernweh. Kurz: Er kann alles, was moderne Geschichten versuchen – nur ohne die moralische Manipulation.
Mit Piraten & Ladies will ich genau dorthin zurück. Nicht in die Vergangenheit – sondern in ein Genre, das wir zu Unrecht vergessen haben. Und das, wenn man es ernst nimmt, so viel mehr erzählen kann als Schatzkarten und Entermesser.
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